Eigentlich habe ich meinen Rückblick auf die letzte Plenarwoche ja schon geschrieben und veröffentlicht. Darin ging es wahrlich nicht um unwichtige Themen, ganz im Gegenteil.
Trotzdem drehen sich meine Gedanken noch immer ganz stark um zwei skandalöse Reden der AfD, und ich habe lange überlegt, wie ich damit umgehe. Ich will dieser unsäglichen Hetze und Verfälschung von Fakten keine Bühne geben, sie nicht weiterverbreiten. Ich will und muss aber auch ganz klar dem widersprechen was dort gesagt wurde und darauf aufmerksam machen, was für gefährliche Reden diese AfD in unserem Landtag hält. Deswegen nun dieser sehr lange Text. Am Ende der beiden Abschnitte finden sich die Links zu den entsprechenden Tagesordnungspunkten, Anträgen und Reden, dort kann man sich alles in Ruhe angucken, einen eigenen Eindruck gewinnen.
Nüchtern betrachtet ist es wie schon so oft: Die AfD versucht hier durch Provokationen mal wieder auszutesten, womit sie durchkommt und verschiebt gleichzeitig die Grenze dessen, was man mit Anstand im hohen Haus sagen kann, in Richtung ihrer Hetze. Und natürlich werden solche Reden ganz bewusst gehalten, um daraus kleine Ausschnitte auf Social Media zu verbreiten, möglichst so, dass man meinen könnte „ist doch gar nicht so schlimm“, „man wird ja noch sagen dürfen“ oder „endlich sagt mal einer was“. Die demokratischen Werte auf diese Weise in den Dreck zu ziehen, ist meilenweit entfernt von dem oft auch harten Umgang zwischen CDU, SPD, Grünen und FDP. Und vor allem schadet es der Demokratie in Gänze. Und das weiß die AfD auch. Sie macht es ganz bewusst und vorsätzlich. Immer wieder, immer widerlicher und immer lauter.
Am 26.10. stand nun also unter TOP 6 ein Antrag von CDU und Bündnis 90 / Die Grünen zur Debatte. Titel des Antrags: „Den Aktionsplan für Vielfalt und gegen Homo- und Transfeindlichkeit auf erweiterter Datenbasis weiterentwickeln“. Diesem Antrag stimmten letztendlich die Fraktionen von CDU, SPD und Grünen zu, die FDP enthielt sich, die AfD stimmte dagegen. Soweit eigentlich unspektakulär und vorab erwartbar. Und auch die vorhergehende Debatte war geprägt von den normalen Abläufen: Die regierungstragenden Fraktionen finden ihren Antrag gut, wir und die FDP als Opposition haben inhaltliche Kritik und diese entsprechend vorgetragen, alles recht sachlich und zielführend.
Doch dann trat für die AfD-Fraktion die Abgeordnete Enxhi Seli-Zacharias ans Redepult. Und in diesem Redebeitrag fielen dann Aussagen wie „[…] die Translobby führt einen Kampf gegen die Natur […]“ und „Unter dem Deckmantel von Toleranz wurde sich schrittweise in Politik, Justiz, Universitäten und Medien eine totalitäre Machtposition verschafft.“ Nebenbei wurden im Wortbeitrag auch noch Morde an Frauen aus ideologischen/religiösen Gründen und – natürlich – Migration als Ursache allen Übels eingerührt.
Ich bin meinem Kollegen Frank Müller sehr dankbar, dass er (im Video ab Zeitmarke 4:30:35) im Anschluss in einer persönlichen Erklärung (und unter enormer emotionaler Anspannung) darauf hingewiesen hat, dass im Dritten Reich Homosexuelle als widernatürlich gebrandmarkt und entmenschlicht wurden und dies nun offenkundig wieder in einem deutschen Parlament salonfähig wird. Nachdem er dann versicherte, dass wir Demokratinnen und Demokraten uns dem entgegenstellen und unsere liberale Demokratie verteidigen werden (hierfür gab es stehende! Ovationen aller Fraktionen außer der AfD), fiel der AfD nichts Besseres ein, als von Otto-Wels-Gedächtnisspielen der SPD zu sprechen. Einfach nur widerlich! Wenigstens blieb das letzte Wort der Debatte nicht bei der AfD, denn meine Kollegin Franziska Müller-Rech von der FDP betonte nochmal unter großem Applaus, dass wir Demokratinnen und Demokraten uns schützend vor diejenigen stellen, die die AfD ausgrenzen und bekämpfen will.
Video zum TOP 6: https://www.landtag.nrw.de/home/mediathek/video.html?kid=77be9660-1079-4e69-b6b9-563557e0f853 ab Zeitmarke 3:58:30
Antrag: https://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/MMD18-6360.pdf
Und wäre diese Rede nicht schon abscheulich genug, setzte die AfD am 27.10. unter TOP 4 noch einen drauf. Der von ihr eingebrachte Antrag mit dem Titel „Anstieg sexueller Übergriffe unter Kindern in NRW-Kitas: sexualpädagogische Konzepte konsequent offenlegen!“ für sich genommen ist schon absurd fern von wissenschaftlichen und pädagogischen Grundkenntnissen. Weil aber am Abend zuvor ein SPD Politiker wegen des Verdachts auf Besitz von Kinderpornografie und Missbrauch festgenommen wurde (https://www.tagesschau.de/inland/regional/nordrheinwestfalen/wdr-kinderpornografie-verdacht-vize-buergermeister-von-luenen-in-untersuchungshaft-100.html) wurde der inhaltliche Unsinn im Antrag auch noch verquirlt mit einem generellen Vorwurf (insbesondere an die SPD) derartige Verbrechen gegen Kinder zu unterstützen. In der Rede hieß es unter anderem: „[…] Was ich Ihnen hingegen vorwerfe, ist, dass Sie eine Politik betreiben, die diesen Bestien Vorschub leistet. […] Sie schaffen täterfreundliche Kinder, mit denen Pädophile leichtes Spiel haben. […] Sie sagen, dieser SPD-Vizebürgermeister hätte in der SPD nichts mehr zu suchen. Ich sage Ihnen: Er ist genau richtig bei Ihnen! […] Hören Sie auf, Pädos Vorschub zu leisten! […] Stoppen Sie Ihren Transhype![…]“
Die dann folgenden Beiträge meiner Kolleginnen und Kollegen (Charlotte Quick für die CDU, Nina Andrieshen für die SPD, Norika Creutzmann für die Grünen und Marcel Hafke für die FDP sowie Ministerin Josefine Pauls für die Landesregierung) haben sich mit dem Antrag inhaltlich beschäftigt und seine vielen Falschdarstellungen auseinander genommen (die AfD will absurderweise gerade jene Maßnahmen abschaffen, mit denen Kinder schon im Kita-Alter in die Lage versetzt werden sollen, sich gegen sexuelle Übergriffe zur Wehr zu setzen). Ihren Ausführungen habe ich inhaltlich nichts hinzuzufügen.
Mich macht aber die Unverschämtheit zornig mit der hier abermals Dinge wild durcheinandergemischt wurden, aus einem mutmaßlichen Täter (der sofern die Vorwürfe gerichtsfest belegt sind natürlich hart bestraft gehört und in der SPD nichts verloren hat) sofort eine Kollektivschuld aller SPD-Abgeordneten gemacht wurde (der Redner hat durchweg in Richtung unserer Fraktion geschaut, aus dem Vortrag ist ganz deutlich zu erkennen, wen er mit „Sie“ meint), nur um Emotionen zu wecken. Wenn es eines Beispiels für eine hetzerische Rede im Landtag NRW bedurft hätte: Hier wäre das Paradebeispiel.
Das Landtagspräsidium hat noch im Laufe der Sitzung angekündigt, dass eine Prüfung der Rede erfolgen wird. Die Bild-Zeitung schreibt – zu Recht – von einer Skandal-Rede und einem Eklat (https://www.bild.de/regional/duesseldorf/duesseldorf-regional-politik-und-wirtschaft/praesidium-ueberprueft-skandal-rede-entsetzen-im-landtag-ueber-afd-ausraster-85893816.bild.html). Und zum ersten Mal haben wir als SPD-Fraktion – anders als noch in der Rede von Nina Andrieshen angekündigt – die Überweisung eines AfD-Antrags in den Fachausschuss abgelehnt. Auch einige Mitglieder der anderen Fraktionen haben der Überweisung nicht zugestimmt.
Ich mag mir nicht ausmalen, wie es wäre, wenn Personen, die derartige Reden im Parlament halten, in Verantwortung für unser Gemeinwohl kämen. Deshalb müssen wir, diejenigen denen Demokratie, die Rechte von Minderheiten und gesellschaftlicher Fortschritt am Herzen liegen, jetzt umso deutlicher machen, was sich immer schlechter hinter der vermeintlich normalen Partei-Fassade der AfD verbirgt: Hass, Hetze, Höcke. Niemand soll sagen können, man habe das nicht vorher gewusst!
Video zum TOP 4: https://www.landtag.nrw.de/home/mediathek/video.html?kid=a69ace9e-6957-4e58-8186-e6e4e3c5b96d ab Zeitmarke 2:10:48
Antrag: https://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/MMD18-6374.pdf
Anmerkung: Alle Zitate sind durch mein Team auf Basis der Videos gesammelt und nicht auf Basis des offiziellen Sitzungsprotokolls wiedergegeben.